Heute möchten wir auf ein Stück kanadischer Geschichte aufmerksam machen, von der in Europa wahrscheinlich kaum jemand etwas weiss. Freitag vor einer Woche waren wir auf einer "Wahrheits- und Versöhnungstagung" in Vancouver (http://www.trc.ca/websites/trcinstitution/index.php?p=3). Wie der Name schon sagt, soll ihre Agenda dazu helfen Wahrheit and Licht zu bringen und Versöhnung zu unterstützen.
Dass Amerikaner aus den Vereinigten Staaten in der Vergangenheit mit Rassenhass und gewaltsamer Christianisierung der amerikanischen Ureinwohner Probleme hatten, ist weit bekannt. Dass dieses sich allerdings in grausamen Formen auch hier in Kanada gezeigt hat, ist vielen neu. Auch hier wurden den Stämmen ihr Land weggenommen und zu Eigentum der "weißen Rasse" erklärt. Und auch hier wurden die First Nations dann in Reservate gepfercht. Doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schlug diese Freiheitsberaubung einen noch extremeren Weg ein. Das erschreckende ist allerdings, dass diesmal sogar Kirchen daran beteiligt waren.
Presbyterianische, Katholische, Anglikanische, Methodistische und andere Kirchen wurden damit beauftragt, internatähnliche Schulen (Residential Schools) für First Nations zu führen, die den Zweck hatten, die Schüler zu "zivilisieren". Die Kinder sollten gezielt von ihren Eltern und damit von ihrer eigenen Kultur ferngehalten und zu "echten, christlichen Bürgern" erzogen werden. Zuvor sprachen die meisten Ureinwohner ihre Stammessprache zu hause und kannten kein englisch oder französisch. Sie wuchsen in ihrer Kultur und ihren Traditionen auf und lernten Weisheiten, die sie später ihren eigenen Kindern weitergeben würden. Was dann in den Schulen geschah, konnte vorher leider keiner vorhersehen.
In den 3000 Schulen wurden den Kindern mit harschen Erziehungsmethoden Stück für Stück ihrer Kultur beraubt. Ihnen war es verboten, ihre Stammessprache zu benutzen. Sie mussten die westliche Kultur adaptieren, viele Kilometer getrennt von ihrer Familie und gewohnten Umgebung. Gleichzeitig geschahen in den ganzen Jahren emotionale, physische, sexuelle, verbale Misshandlungen und Vernachlässigung durch zu wenig Nahrung (viele von den Schulen, die vom Staat beauftragt waren, wurden vom selbigen drastisch unterfinanziert, so dass die Lehrer teilweise ohne Gehalt arbeiteten und die Schulen kaum alle ausreichend versorgen konnte). Durch Mangelernährung und schlechte Gesundheitsvorsorge wurden auch nicht wenige Schüler krank und starben oder leben heute noch mit den Konsequenzen an und in ihrem Körper. Ja, Misshandlung und Vernachlässigung von Menschen, die behaupteten Christen zu sein. Die letzte Residential school wurde 1996 (!) geschlossen. Gerade mal 17 Jahre her.
Die Konsequenzen einer solchen Behandlung sieht man heute immer noch stark. Viele von den Opfern kämpfen mit den Folgen ihrer Vergangenheit. Viele First Nations haben aber auch aufgegeben und sich Drogen, Spielsucht und Alkohol hingegeben. Hilfe von der eigenen Familie können sie oft nicht erwarten, weil so viele vergangene Generationen mit denselben Wunden aufgewachsen sind. Oft findet man dysfunktionale Familien vor, in denen die Opfer zu Tätern wurden, leider eine häufig vorkommende Folge von Misshandlung und Vernachlässigung. Die jungen Generationen wissen meist nichts von der schwerden Bürde der Vergangenheit, die in ihrer Familie vorherrscht, doch erleben sie immer noch die Folgen davon an ihrer eigenen Haut. Es ist nicht einfach, diesen Teufelskreis des Leids zu durchbrechen. Hinzu kommt noch der große Verlust von so vielen First Nations Sprachen und Kultur. Die eigene Identität als Ureinwohner wiederzufinden und gleichzeitig Teil der modernen Gesellschaft zu sein, stellt sich als große Herausforderung für viele dar. Und im Hintergrund brodelt auch oft mehr oder weniger ein Hass gegenüber uns weißen.
Die Wahrheits- und Versöhnungstagung hat es sich zum Auftrag gemacht, Frieden zwischen Kirchen und First Nations wiederherzustellen und zu helfen, Wunden zu heilen.
Vergangenen Freitag waren wir also dort und lauschten einem Zirkel namens "Die Kirche hört zu". Mehrere Repräsentanten der verschiedenen betroffenen Denominationen und etwa 10 First Nations Menschen waren daran beteiligt. Abwechselnd hörte man die Geschichten und Erlebnise der Betroffenen und einer offiziellen Entschuldigung der jeweiligen Kirche. Die persönlichen Erlebnisse aus den Schulen und wie die Menschen heute dazu und zur Kirche stehen waren herzzerreissend. Einige schienen auf einem guten Weg der Heilung zu sein und den wirklichen Jesus für sich gefunden zu haben. Zum Beispiel ein Mann namens Jamo. Er hat in seinem Herzen vergeben und Frieden gefunden. Momentan schnitzt er an einem Totempfahl der Heilung, an dem er auf der Tagung weiße wie First Nations schnitzen lässt. Jedes Element auf dem Totempfahl hat eine besondere Bedeutung. So stellt der Bär ganz oben Gott dar. Jedes seiner Ohren repräsentiert jeweils die weiße und die dunkle Nation durch Kindergesichter. Andere sind noch nicht dazu bereit zu vergeben. Eine Frau sagte weinend und wütend:
"Ich hasse die Kirche, ich hasse Gott, ich hasse euch, für das was ihr uns angetan habt. Und ich will euch nicht vergeben. Das ganze hier kommt mir so unwirklich vor. Seid ihr alle bezahlte Schauspieler, die hier hergekommen sind? Werdet ihr dafür bezahlt, hier zu sitzen?"
Überall auf der Tagung sah mal beschäftigte Seelsorger, die als Ansprechpartner für jeden da waren, der Hilfe brauchte. Die Tagungen, die jedes Jahr in verschiedenen Städten Kanadas gehalten werden, schreiben Geschichte. Eine Geschichte von positivem Konflikt und Dialog für eine bessere, geheilte Zukunft. Man fühlt immer noch den Schmerz und Leid in der Luft, doch auch Hoffnung. Langsam streifen die First Nations die Vergangenheit ab, finden sich selbst wieder und werden ganz sicherlich eines Tages wie der Phönix aus der Asche wiederauferstehen: Geheilt, mit neuer Kraft, Identität und Mut. Nur vieles ihres Kulturerbes werden wir leider nie wieder zu Gesicht bekommen. Wie viel von Gottes Wesen hätten wir durch ihre Kultur aus dieser Perspektive entdecken können...
Eines der Dinge, die uns einfach nicht in den Kopf kommen will ist, wie angebliche Christen solche Grausamkeiten an Kindern verüben konnten. Haben sie all die vielen Stellen über wahre Nächstenliebe in der Bibel ausgelassen? Jemanden "zu kultivieren" ist eine Sache, die damals leider in der westlichen Gesellschaft verankert war, doch dafür absolut unchristliche und unethische Mittel zu gebrauchen, die absolut konträr zu Jesus` Evangelium sind eine ganz andere. Wie kann es sein, dass diese "Lehrer" so blind waren? Für mich bleibt nur eine Antwort darauf und die ist: diese Menschen waren ganz schlicht und einfach keine Christen. Anders kann ich es mir nicht erklären. Offiziell zu einer Kirche zu gehören und seinen Glauben in Taten auszudrücken sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Wie oft verschleiern wir den wahren Jesus aufgrund unserer Taten und Worte und bringen Menschen dazu, Gott zu hassen?
Wir schreiben diesen Eintrag im Angesicht der Gegenwart. Wir dürfen solche Fehler aus der Vergangenheit niemals vergessen. Ungerechtigkeit und Unterdrückung sind in so vielen Ländern der heutigen Welt immer noch an der Tagesordnung. Es ist wichtig für uns, die Geschichte der Residential Schools mit so vielen wie möglich zu teilen. Jesus hat gesagt: Die Wahrheit macht frei. Wenn wir uns diesen Wahrheiten endlich mal aussetzen und sehen, wie viel Arbeit wir noch zu tun zu haben, um Gottes Reich und Gerechtigkeit in die Welt zu bringen, können wir uns aktiv an Friedensarbeit beteiligen. Und oft fängt das mit dem Nächsten neben uns an. Es reicht nicht aus, Leute mit dem Evangelium zu bombardieren. Ironischerweise haben die First Nations das Evangelium in den Schulen auch gehört, von Menschen, die es weder verstanden noch gelebt haben. Das Gelesene und Gelernte muss sich in Taten ausdrücken. Und das heisst oft, dass wir unsere Wohlfülzone verlassen müssen.
Teilt euer neu erlangtes Wissen über die kanadischen Residential Schools mit anderen!
Hier ist ein Video, in dem eine Frau über ihre Erlebnisse aus der Schule spricht, Fotos und mehr Info: http://www.thecanadianencyclopedia.com/articles/residential-schools
Mehr Info:
http://de.wikipedia.org/wiki/Residential_School (deutsch)
http://www.cbc.ca/news/canada/at-least-3-000-died-in-residential-schools-research-shows-1.1310894 (englisch)
Ja, das ist schlimm, das im Namen Jesu immer wieder Unrecht geschehen ist und geschieht. Wenn man sich die Kirchengeschichte ansieht, erkennt man, das solches leider schon sehr bald nach der Christianisierung begann. Als grundsätzliches Problem dabei sehe ich den Unterschied zwischen sichtbarer Kirche und der unsichtbaren wahren Kirche Christi. Wir können den Menschen nicht ins Herz sehen. Wir müssen ihnen glauben, wenn sie behaupten, auch Christen zu sein. Nur der Herr selbst sieht das Herz und kennt die Seinen. Der Teufel, der Lügner von Anfang an, mischt sich auch hier kräftig ein. Für mich ist inzwischen die äußerlich organisierte Kirche, die ihre Glieder vor allem durch die Säuglingstaufe bekommt, das Problem Nummer 1 in der Christenheit, ja in der Welt. Denn die Menschen sehen dorthin und fragen nicht nach Jesus. Hier sind treue Beter nötig. Gott helfe uns, Amen!
AntwortenLöschen